54 Sekunden, die den SCB erklären
Der harte Kern der SCB-Helferinnen und -Helfer mahnt im unerschütterlichen Vertrauen auf Marc Lüthis Genie an Napoleons alte Garde. Die hielt dem grossen Korsen die Treue bis zum Untergang an der Beresina und der Verbannung nach Sankt Helena und zweifelte nie an seiner Unfehlbarkeit. Ein treuer SCB-Funktionär sagt es in unerschütterlicher Zuversicht so: «Wir sind schon vom achten Platz aus Meister geworden. Nun schaffen wir einen neuen Rekord: Wir holen den Titel vom zehnten Platz aus …» Aktuell steht der SCB auf Rang 13 und müsste gegen Ajoie die Playouts bestreiten.
Das ist mehr als eine Anekdote. Der Glaube an eine Wende, an eine Rückkehr zum alten, meisterlichen Glanz, zuletzt gestärkt mit drei Titeln in vier Jahren (2016 bis 2019), gehört zur SCB-Kultur und wird dem taumelnden Titanen helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Das unterscheidet den alteingesessenen meisterlichen Adel von den Bürgerlichen der Liga, die noch nie Meister waren: Die Adeligen glauben auch in schier hoffnungslosen Lagen an die Rückkehr zu Ruhm, Lob und Preis. Das ist die Dividende der Arroganz. Die Fleissigen hingegen befürchten selbst im Erfolg den Zorn der Hockeygötter und den Absturz.
Die dramatische Verlängerungs-Niederlage gegen Davos (2:3) hat gezeigt, warum ein Titel in Bern nie Utopie ist – und viel mehr noch, was dem SCB fehlt.
Der Punktgewinn ist nicht dem Zufall geschuldet, der manchmal einem krassen Aussenseiter gegen einen nachlässigen Favoriten ein kleines Wunder beschert. Die Partien der Berner gegen den HCD gehören zu den Klassikern unseres Hockeys und nie ist eines der beiden Teams nicht gut vorbereitet, nachlässig oder überheblich. Gegen die taumelnden Berner sind heute für alle Fleissigen jederzeit Punkte möglich. Gegen den HCD nur mit einem Sonder-Effort.
In 54 Sekunden macht der SCB in der Schlussphase (54. Minute) aus einem 0:2 ein 2:2. 54 Sekunden lang blitzt der alte, der wahre SCB auf: der unerschütterliche Glaube an die eigene Kraft, das direkte Spiel vorwärts und alle vom Geiste beseelt, ein Spiel zu wenden und zu gewinnen. Es ist, als sei der zähe Nebel der Zaghaftigkeit und Zweifel, dieses passive Schleichen nach dem Grundsatz «nur ja nicht verlieren» verschwunden. Begeisterung braust auf einmal wieder durch die grösste Arena des Landes. «Stöht uf, we dyr Bärner syt» («Steht auf, wenn ihr Berner seid!») echot es zehntausendfach von den Rängen.
Das bedeutet: Wenn es Trainer Heinz Ehlers gelingt, die Lage zu stabilisieren und ein Optimum herauszuholen, dann ist der SCB tatsächlich noch zu allem fähig. Aber warum nur 54 Sekunden und nicht mindestens 54 Minuten? Es fehlen immer noch zu viele Teilchen im Erfolgsmosaik. Weil seit 2019 bei der Zusammenstellung des Teams viel zu viele Fehler begangen worden sind. Sie sollen hier nicht wiederholt werden. Jeder treue SCB-Fan kennt sie.
Interessanter ist es, darüber nachzudenken, was zu tun ist, damit aus 54 Sekunden wieder mindestens 54 Minuten werden. Die Partie gegen Davos hat die Gebrauchsanleitung für das Programm «Make the SCB great again» geliefert.
Erstens: Es beginnt ganz oben: endlich erkennen, was der SCB war, was er jetzt ist und was er wieder werden soll. Das bedeutet: Durchsetzung der SCB-Identität durch die richtige Personalpolitik und Denkweise. Dass es diese SCB-Identität wie einen verlorenen Schatz noch gibt, haben diese 54 Sekunden gezeigt.
Damit diese wahre SCB-Identität auf dem Eis umgesetzt wird, ist eine tiefgreifende Erneuerung unerlässlich. Der SCB hat weder die Spieler noch die Identität zum passiven Schablonen-Hockey und zur Spielverwaltung wie während gut 50 Minuten gegen den HCD. Das bedeutet: Der SCB braucht höchstens einen ausländischen Verteidiger, aber fünf ausländische Stürmer – drei sehr gute und zwei gute. In dieser Besetzung gelingt Dominanz, so ist der Puck mehrheitlich im Besitz der Berner, so wird das Spektakel vom eigenen Tor ferngehalten. Die Ausländer-Lizenzen für Alexandr Iakovenko und Adam Reideborn sind reine Verschwendung. Mit dem Duo Sandro Zurkirchen und Christof von Burg wäre der SCB auch dort, wo er jetzt ist: auf dem zweitletzten Platz.
Zweitens: Der Mut zu Veränderungen und zu Entscheidungen. Kürzlich haben ein paar Kenner der Szene zum Spass die Entscheidungsfindung beim SCB grafisch mit Linienführungen dargestellt: Die Linie geht vom Untersportchef zum Obersportchef, weiter zu Marc Lüthi, zurück zum Untersportchef, nochmals zum Obersportchef, dann ganz hinauf zu Präsident Carlo Bommes, von dort nochmals zu Marc Lüthi, sicherheitshalber noch einmal zum Ober- und Untersportchef, erneut zu Marc Lüthi, dann will auch Verwaltungsrat Peter Josi nach einem Telefonat mit seinem Sohn Roman in Amerika drüben etwas wissen, sodann geht es nochmals hinunter, diesmal zum Nachwuchschef, der auch noch etwas zur Entscheidungsfindung beitragen kann, und schliesslich folgt nach einem weiteren Hin und Her zwischen dem Ober- und Untersportchef und Marc Lüthi der Entscheid.
Die Entscheidungsfindung beim SCB als Grafik ergibt das Bild eines Schnittmusters aus einer Modezeitschrift. Dabei ist die SCB-Renaissance gar nicht so kompliziert zu managen. Die Ansätze sind ja vorhanden: Untersportchef Diego Piceci bringt die Dynamik, die Unkompliziertheit, das Selbstvertrauen und damit die Eigenschaften, die es in diesem Business braucht, zu dem nun mal hin und wieder Fehler gehören. Fehler sind kein Problem, wenn sie rasch erkannt werden. Diego Piceci hat dort, wo man ihn machen lässt (Verpflichtung von jungen Talenten), überzeugt. Aber er ist halt nur Untersportchef. Und Marc Lüthi kann, wenn er seine Altersmilde überwindet, immer noch rasch und kompetent entscheiden.
Mit Heinz Ehlers hat der SCB einen Trainer, der aus 54 Sekunden 54 Minuten wahres SCB-Hockey machen kann. Er ist der beste SCB-Bandengeneral seit Kari Jalonen. Und seine Anstellung zeigt, wie die SCB-Entscheidungsfindung funktionieren sollte: Es war nicht möglich, wochenlang zu analysieren, zu diskutieren, zu untersuchen, zu prüfen, zu durchleuchten, zu betrachten, zu interpretieren, zu erörtern, zu besprechen, zu debattieren, zu verhandeln, zu argumentieren, zu vergleichen und zu bedenken. Der SCB war in Not und brauchte sofort einen neuen Trainer. Die Anstellung von Heinz Ehlers war sozusagen ein von Marc Lüthi orchestrierter Entscheid von 54 Sekunden.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
-
Er ist
-
Er kann
-
Erwarte
Gegen den HCD hat Heinz Ehlers bereits ein 54-Sekunden-Wunder vollbracht. Das letzte wahre Sportwunder in Bern fand in Bern 1954 statt. Es ist Zeit für ein neues Wunder. Auf und neben dem Eis.
PS: Der Chronist ist eindringlich ermahnt worden, doch den SCB nicht ständig zu kritisieren. Man sehe doch, dass es aufwärts gehe. Der Chronist entschuldigt sich. Ja, es geht aufwärts. Von Platz 13 Richtung Platz 12.
